Der Winter ist mit vollen Zügen zurückgekehrt, anscheinend hatte er noch ein paar Wagons extra parat für uns. Was sind scho 5€ wenn überlegsch was a Lokomotiv kostet?
Die extra Portion Winter haben nicht nur die Straßen gespürt, die jetzt wieder schön gezuckert sind, sondern auch wir als wir vergangen Montag (23.03) mit Tore auf einen Zelttrip oberhalb der Baumgrenze losgezogen sind. Dieses mal ohne Hunde, den Job die Schlitten zu ziehen übernahmen mein Glemser Zimmernachbar und ich, jeder für seine Kleingruppe. („Zum Glück“ für den Rest der Gruppe waren wir in zwei verschiedenen Zeltgruppen eingeteilt, die machten keine Anstalten uns ablösen zu wollen). Aber so konnten wir uns schon einmal psychisch und physisch auf den Rest der Woche einstellen, später mehr dazu.
Vermutlich hat Tore schon geahnt, was in dieser Nacht los sein wird und hat uns als Ziel eine „Gamme“ eine kleine, offene Hütte für Jäger gegeben, etwas geschützt liegend umgeben von Bäumen (also wieder hinab unter die Baumgrenze). Von diesen Hütten gibt es hier oben einige.
Tore, Aaro (der Finne) und ich suchten nach der Ankunft noch eine weitere Gamme auf, während die anderen sich am Ofen wärmten. Die Mädchen der Gruppe entschieden auch sich in die Gamme zu quetschen, während wir draußen im Zelt bei -18°C schlummerten. Durchaus erholsam mit Merino in Daune eingehüllt. Nur meine Isomatte, die ich nach eigenen Recherchen und Rechnereien vermutlich 2002 für mein erstes Jungscharlager als Teili geStorert hab ist diesen Verhältnisse nicht ganz gewachsen. Im Gegensatz zu mir, ich bin seither ein paar cm länger geworden. Mit 3,5cm dicke ist sie für diese Temperaturen etwas unterdimensioniert (wenn sie mich auch sonst in den letzten 13 Jahren nicht im Stich gelassen hat). Zum Glück hab ich mittlerweile auch mein eigenes Reintierfell, nur auch das ist meiner geistigen und vor allem auch körperlichen Größe nicht gewachsen. Deswegen habe ich mich eben nicht gestreckt und die embryonale Stellung vorgezogen. Dann hat mich die Kälte von unten auch nicht befallen und ich hatte eine erholsame Nacht, fast so geborgen wie im Uterus.

Käsebrot ist ein gutes Brot, auftauen am nächsten Morgen
Der Rückweg unsere längsten (einfach ca. 10km) und letzten gemeinsam Tour als „Klasse“ war gezeichnet von… nichts. Fast die ganze Zeit war außer weiß nichts zu sehen. Vorteil für den der aufgepasst hat wie man Karte, Kompass und GPS einsetzt. Aber es scheint als haben alle aufgepasst und wir sind nun wohl vorbereitet für die weiteren Touren (auf dem Plan nur eine offiziell verzeichnet), die wir in Eigenregie durchzuführen haben.
Nachdem wir den Mittwoch (25.03.) an der Uni verbracht hatten, haben mein Glemser Zimmernachbar und ich ab Donnerstag (26.03.) unsere erlernten Fähigkeiten unter Beweis gestellt.
Nachdem wir uns zu Beginn der Woche warmgelaufen hatte (wenn man bei den Temperaturen davon sprechen kann) galt es nun die kommenden 4 Tage die Finnmarksvidda mit den Ski zu überqueren und am Sonntag Karasjok zu erreichen. Die Finnmark, auch „Land am Ende der Welt“ genannt, gilt als die einsamste Region Europas, geprägt von Taiga und Tundra. Raue Wildnis und zugleich die größte zusammenhängende Fläche Natur unseres Kontinents. Und es ist das Kernland der Samen, die hier heute noch teilweise von der Reintierzucht leben (vgl. Dumont Norwegen). So etwas vor der Haustür muss man doch erlebt haben. Also stiegen wir am Donnerstag um 7:15 in den Schulerbus (50NOK) und sind an den Stadtrand gefahren.
Nachdem wir uns kurz verfranzt haben, beziehungsweise die Gegend exploriert, haben wir um ca. 9:00 dann den etwa zweistündigen Aufstieg auf die Hochebene Finnmarksvidda begonnen. Die meisten die diese traditionelle Verbindungsroute zwischen Alta und Karasjok mit den Ski bezwingen beginnen oben (Stilla) und ersparen sich den Anstieg (von Romsdal). Da muss man schon ziemlich angasen mit Rucksack und Schlitten und aufpassen, dass einem die Kuttel nicht raushüpft.
Die Politi auf Schneemobilen hat uns erklärt / gelehrt, dass die Finnmarksvidda mit einer Höhe von 4400m in Alpen vergleichbar ist. Wir sollen lieber zeitig unser Zelt aufschlagen, bevor uns der Blizzard erwischt. Einen kleinen Rüffel gabs, da wir kein gutes Kartenmateriel und kein GPS mit uns führten. Aber davon ließen wir uns nicht aufhalten. Auf dem ca. 130km langen markierten Weg gibt es drei Hütten / Anlaufstellen. Nachdem uns am ersten Tag ein paar Schneemobile, drei Hundeschlitten und 2 weitere Skiläufer begegnet sind erreichten wir die erste Hütte. Dort haben wir unsere Thermosflaschen aufgefüllt (so mussten wir nicht so viel Schnee schmelzen, da sind immer so viele Fischla dabei) und uns kurz aufgewärmt. Nach einem weiteren Kilometer haben wir unser Zelt noch vor Einbruch der Nacht aufgeschlagen.

schneller Retter in der Not
Zu Beginn von Tag 2, nach Müsli mit Apfel und Wasser (Apfel in Schlafsack über Nacht aufgetaut, sowie Käse zum Knäckebrot schmieren) passierten ein paar Hundeschlitten unsere Lager. Und etwa eine halbe Stunde bevor wir aufgebrochen sind auch die zwei anderen Skiläufer, die in der Hütte geschlafen haben. Das morgendlich noch ganz angenehme Wetter änderte sich schnell zu einem nicht mehr angenehmen Wetter. Vor uns lagen ein paar riesige Seen, auf denen man voll und ganz den Naturgewalten ausgesetzt ist. Schneesturm, der sogar mich als gestandener Bua zum Teil „versetzte“ und bis zu meterhohe Schneeverwehungen machten uns den Weg erschwerlich und mühsam. Die Ski boten uns im Vergleich zu normalem Gehen (Hinsicht auf Gleiten oder Abfahrten bei leichtem Gefälle) keinen Vorteil, außer dass wir nicht noch weiter im Schnee eingesunken sind. Ständiger Gegenwind/Seitenwind verlangsamte unsere Reisegeschwindigkeit erheblich.
Als kleine Rast zur Nahrungsaufnahme fanden wir einen Felsblock hinter dem wir ein wenig windgeschützt waren und der Wind uns nicht ins Gesicht gepeitscht ist. Dort musste ich auch Blasenpflaster mit stetig schwindendem Gefühl in den Fingern wechseln, das Blut stand schon fast in den Stiefeln . Hier die weißen Flagge zu schwenken hätte wenig Sinn gemacht, zum einen hätte es niemand gesehen, hier ist niemand, nicht einmal ein Tier und es ist sowieso alles weiß und zum anderen wäre umdrehen wahrscheinlich genauso weit wie weitergehen. Auch wenn ein teils ernüchternd ist, wenn man hinter der nächsten Anhöhe wieder nur weiß sieht, ohne jegliche Anzeichen von Änderung. Bis zur nächsten Anhöhe und so fort…
Es war eine weiße Hölle, ohne Markierung am Weg wären wir vermutlich verloren gewesen (GPS wäre doch hilfreich an dieser Stelle).
Kurz vor der nächsten Hütte hatten wir die zwei Anderen eingeholt. Wir beschlossen die Nacht ebenfalls in der Hütte (Mollisjok Fjellstue für 230NOK) zu verbringen, die 30km von der nächsten Hütte und 50km von der nächsten Stadt (Karasjok) entfernt ist. Ziemliche Einöde in der die eine Familie dort lebt. So konnten wir unsere Sachen trocknen und am nächsten Tag schneller aufbrechen, ohne Lagerabbau. Ein Zeltaufbau bei dem Schneegestöber hätte sich auch schwierig gestaltet… der Sturm hat sich durch die ganze Nacht gezogen.

Ich kochenderweise in der Hütte in norwegischem Camouflage
Auf der Hütte gab es auch eine kleine Nebenhütte mit klassischem Plumpsklo, wie das ausgesehen hat war mir im wahrsten Sinne des Wortes scheißegal… Spühlung würde bei den Temperaturen ja eingefrieren… und bevor auf offenem Terrain bei der Kälte das A… zuschnappt…

Wer findet die Hütte in der wir geschlafen haben?
Glücklicherweise war Tag 3 mit besserem Wetter bestückt. Und so konnten wir in den frühen Morgenstunden starten und die dritte Hütte, die eigentlich als Tagesmarsch vorgesehen ist zum Rast um die Mittagszeit erreichen. Dort begegneten wir zwei Schneemobilen Mann und Frau, die auf dem Weg nach Karasjok waren. Später begegneten wir ihnen nochmals (sie waren nun auf dem Rückweg nach Alta). Sie stoppten und schenkten uns zwei getrocknete Reintierherzen, die sie eben in Karasjok bei der Mutter des Mannes geholt haben. „Genüsslich“ probierten wir diese, der Mann zeigte uns wie sie zu verspeisen sind. Laut der Frau schmecken sie herrlich zu Bier und sind sehr gesund. Das Problem war nur, wir hatten kein Bier im Marschgepäck. Während des Tages klarte es immer mehr auf. Wir sind noch weiteren Skifahren begegnet. Unter anderem eine Gruppe von drei Jungs die auf dem Weg nach Alta (entgegengesetzt unserer Tour) waren und einem Soloskifahrer, der bei Tag 10 seiner Tour ist und von Kirkenes über Finnland nach Karasjok gelaufen ist und noch eine weitere Woche eingeplant hat. Da kommt einem die eigene Tour auf einmal gar nicht mehr so lang vor...
Als wir das "Ende" der Finnmarksvidda erreicht hatten wurden wir mit einem
herrlichen Wetter beschert und uns stand nun eine Abfahrt bevor. Nach und nach nahm die Landschaft auch wieder an Form an und es war etwas anderes weißes Weiß zu sehen, das astrein gebaumwipfelte Terrain hat mich besonders gefreut. Da sind alle Strapazen auf einmal wie weggeschmolzen. Auf dem Fluss im Tal sind wir noch bis 10km vor Karasjok gelaufen. Gemäß der Jungscharlagertradition hab ich am letzten Abend draußen geschlafen. Es war herrlich sternklarer Polarhimmel und ich ließ mich von Nordlichter in den Schlaf wiegen. Die Temperatur in der Nacht müsste die -18°C von Montag gefühlt um Längen unterschritten haben.

Selfie (WUPIDU!) am Morgen, vertreibt Kälte und Sorgen
Am Morgen von Tag 4 hatte ich Probleme mit meinen Schuhen, da das Papier zum trocken selbiger festgefroren war. Meine Finger sind bei dem Befreiungsakt auch fast abgefroren. Es dauerte eine Weile bis die steinharten Klumpen sich zu beweglichen Schuhen transformierten. Als wir nach ca. 2h in Karasjok (Nähe finnischer Grenze, ca. 2500 Einwohner, neben Kautokeino zweite Stadt der norwegischen Samen, die teilweise auch (fälschlicherweise (wie ich gehört habe)) Lappen genannt werden) angekommen sind, war dies aber der Fall. Auf dem Weg dorthin hat ein FjällRäven unseren Weg gekreutzt. Wir hatten noch einige Stunden, trotz Uhrumstellung bis der Bus zurück nach Alta gefahren ist. Die Wartezeit verbrachten wir in einer Tankstelle. Nach etwa 6h Fahrt auf der E6 (Studenten halber Preis auf öffentliche Verkehrsmittel – 158NOK + 45NOK für den Schlitten) waren wir Sonntagabend (29.03.) zurück in Alta.

Karasjok, Norwegische und Samiflagge
Alles in allem war diese Expedition, wenn man den Trip so nennen möchte, alles: herrlich, gigantisch, genüsslich, betrübt, stürmisch, anstrengend, erschöpft, erholt, schmerzhaft, landschaftlicher Hochgenuss, weißeralsweiß… alles eben. Gleich der Dramaturgie eines klassichen Dramas in 3 Akten, mit Schneesturm als Retardierendes Moment, Heldenreise, Phase der Prüfung und Phase der Ankunft. Wobei im Nachhinein selbstverständlich die schönen Momente an Mehrgehalt gewinnen, den sie aber mitunter nur durch das Erleben der schlechteren Momente ernten. Wann freut man sich schon mal so über ein Gestrüpp?
Doch was braucht man alles für so einen Trip? Wie funktioniert das? Was zieht man da an? Funktioniert die Kleidung oder ist es keine Funktionskleidung? Braucht man Funktionskleidung? Was ist Funktionskleidung? Muss das Jack W. sein?
Mir waren vor allem die Naturmaterialien wie Wolle, Daune und Merino wohlgesonnen...
Am heutigen Tag (30.03.) erhielt ich eine Benachrichtigung über ein Paket auf der Poststelle. Herzlichen Dank an dieser Stelle an meine ehemalige Kindergärtnerin!